ANNETTE KOLB

Annette Kolb (3.2.1870, München – 3.12.1967, München)

Auch wenn Annette Kolb leider heute vom aktuellen Buchmarkt weitgehend verschwunden ist, so gebührt ihr, ebenso wie ihrem langjährigen Freund und Schriftstellerkollegen René Schickele, ein Ehrenplatz nicht nur in der Literaturgeschichte, sondern auch in der Chronik der Aussöhnung Deutschlands mit Frankreich.

Badenweiler hat durch diese beiden ehemaligen Mitbürger auch einen Platz in der europäischen Kultur- und Politikgeschichte erlangt.

Jugendbildnis

Annette Kolb war 1870 in München als dritte Tochter in die deutsch-französisch gemischte Familie Kolb hinein geboren worden. Annettes Vater Max war königlicher Gartenarchitekt in der Residenzstadt, seine Gattin, Annettes Mutter, die Pianistin Sophie Danvin, hatte er während seiner Ausbildung in Paris kennen gelernt. Diese Zugehörigkeit zu zwei Kulturkreisen hatte Annette von früh auf im Bewusstsein von einem ihr eigenen, geistig-kulturellen Weltbürgertum geprägt. In München pflegte die Familie Kolb einen veritablen extravaganten Lebensstil, bekannte Musiker, Schriftsteller und Diplomaten verkehrten im Kolbschen Salon. In dem Schlüsselroman „Die Schaukel“ (1934) setzte Annette ihrer Familie ein literarisches Denkmal. Die „Schaukel“-Metapher bleibt als Balanceakt zwischen elitärem Lebensanspruch und bescheidenen finanziellen Möglichkeiten, katholisch-bayrischer Tradition und aufgeklärtem modernen Denken wie deutsch-französischer Wesensart das ganze Leben über an ihr haften. 1913 publiziert sie ihren ersten Roman „Das Exemplar“, der sogar mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet wird.

Als schicksalhafte Begegnung sollte sich die Begegnung mit dem deutsch-elsässischen Schriftsteller René Schickele erweisen. Die daraus erwachsende lebenslange enge Freundschaft wurde für beide nicht nur eine gegenseitige Lebenshilfe, sondern auch eine Lebensaufgabe. Beide kämpften mit Wort und Schrift rückhaltlos gegen europäischen Militarismus, nationale Engstirnigkeit und für eine transnationale europäische Kultur. Wegen ihrer öffentlichen Vorträge zugunsten der Völkerfreundschaft als Volksverräterin kritisiert geht sie 1917 ins Schweizer Exil, wo Freund René, bereits ebenfalls emigriert, die expressionistischen „Weißen Blätter“ herausgibt.

Nach dem Ersten Weltkrieg lebt sie zuerst in München, damals steht sie im Zenit ihres Ruhmes. Ihr pazifistisches Engagement hat sie zur gesuchten Essayistin werden lassen, Kurt Tucholskys „Weltbühne“ und das „Berliner Tageblatt“ werben um ihre Mitarbeit. Romain Rolland, damals einer der führenden literarischen Köpfe Frankreichs, würdigt sie als „Gewissen Europas“.

Als in München die ersten Aufmärsche der Nazis aber unübersehbar werden, lässt sie sich 1922 in Badenweiler neben dem Haus ihres Freundes René in der Kanderner Straße ein eigenes Häuschen errichten. Der Kurort wird für Kolb und Schickele nicht nur zur schöpferischen Oase, sondern auch zum kulturellen Treffpunkt für viele Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik.

Kolb veröffentlicht 1928 ihren Roman „Daphne Herbst“, eine gesellschaftskritische Darstellung der Vorkriegszeit, sowie mehrere Essays. 1931 erhält sie den renommierten Gerhard-Hauptmann-Preis erwirbt als 61-Jährige den Führerschein und das lang ersehnte Auto.

Als der politisch hellsichtige Schickele Ende 1932 vor den Nazis ins Exil geht, da er einen neuen Krieg vorausahnt, flüchtet auch Annette Kolb aus Deutschland, nachdem sie 1933 in ihrem „Beschwerdebuch“ öffentlich gegen Hitler Position bezogen hatte. Sie reist danach in ganz Europa umher; 1937 erscheint ihre Biografie über Mozart, ihren Lieblingskomponisten, den sie von der Brutalität der Gesellschaft in den Tod getrieben sieht – es ist nicht weniger ihr eigenes Leiden und Empfinden der ihr eigenen Zeit, das darin Widerschein findet. Als die Deutschen in Frankreich einmarschieren, geht sie auf einer abenteuerlichen Reise zum dritten Mal ins Exil, diesmal nach USA. Es wird die bitterste Zeit ihres Lebens, ohne Freunde, ständig in Geldnöten, zudem leidet sie an den Folgen eines Unfalls.

Annette Kolb mit Zigarette

Kolb kehrt schon 1945 nach Europa zurück, zuerst nach Paris, wo ihr der Freund, Diplomat und erste deutsche Botschafter, Wilhelm Hausenstein, unter die Arme greift. Als Annette 1949 als Gründungsmitglied in die „Mainzer Akademie für Wissenschaften und Kultur“ und in die „Bayrische Akademie der Schönen Künste“ in München berufen wird, kehrt sie nach Badenweiler zurück. Mit Anna Schickele und vielen anderen Freunden aus Literatur, dem Theater und der Kunst entsteht ein „Cénacle littéraire“, ein Literaturzirkel, der Badenweiler eine frühe kulturelle Blüte nach dem Krieg beschert. A. Kolb wird nun mit Auszeichnungen überhäuft, sie erhält den Münchner und den Kölner Literaturpreis, den Bayrischen Verdienstorden, 1955 den renommierten „Goethe-Preis“ und die Ehrenbürgerschaft Badenweilers, 1961 stehen auch die beiden Regierungen nicht nach: 1961 wird sie französischer „Ritter der Ehrenlegion“ und erhält den Orden „Pour le Mérite“, fünf Jahre später dann das deutsche „Große Verdienstkreuz mit Stern“. 1961 zieht sie in ihre Geburtsstadt München zurück, hält aber das Häuschen in der Kanderner Str. bis zu ihrem Tod als Ferienwohnsitz bei.

Badenweiler hat seiner Ehrenbürgerin stets die Treue gehalten, 2017, zum 50. Todesjahr, wird das Museum sie mit einer Sonderausstellung im Kurhaus ehren.

H.S.