MARTIN WALSER

Martin Walser im 15. Internat. Literaturforum am 4.10.2013

Martin Walser (geb. 24.03.1927) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller. Im 15. Internat. Literaturforum Badenweiler las er am 4.10.2013 exklusiv aus seinem damals gerade erschienenen Roman „Die Inszenierung“. Darin geht es um nichts Geringeres als um dramatische Liebesverstrickungen vor dem Hintergrund einer Inszenierung der Tschechow-Komödie „Die Möwe“.Unterläuft das Tschechowsche Original als „Komödie“ schon krass das bürgerliche Gattungsklischee, denn es endet mit dem Selbstmord eines Protagonisten, so ist Walsers Buch auch nur mit Einschränkung Roman zu nennen, eher ist es ein sich mit Ironie und Hingabe überschlagender dramatischer Rededialog über Liebe, Schmerz und Sehnsucht.

Walsers Held, der prominente Regisseur Augustus Baum, landet nach einem Zusammenbruch mitten während einer Neuinszenierung der  „Möwe“ im Krankenhaus.

„Tatsächlich habe ich mir in der Klinik das seriöseste Leiden überhaupt zugezogen. Liebe.“ – „Ich heile dich.“

So ein Dialogschnipsel aus den furiosen Rededuellen, in denen Baum die Liebesbeziehungen des Tschechowschen Dramas vom Krankenbett aus weiter spinnt – mit der jungen „Krankenhausmaus“-Nachtschwester Uta-Maria, seiner längst nicht mehr jungen Gattin Gerda und seiner Regieassistentin Lydia. Ein Buch in dem pathetische Sätze wie „deine Liebe und meine Liebe, unsere Liebe, ist die ewige Liebe“ gegen die schneidende Wirklichkeit des Ehelebens und Betrugs ausgespielt werden.

Martin Walser liest aus Inszenierung (Foto Heinz Setzer)

Tschechows Stück, mit dem vor 115 Jahren das moderne Theater eingeläutet wurde, ist bekannt für seine Sprechpausen, die mühsam bürgerliche Leere kaschieren, seine scheiternden Liebesversprechen und Künstlervisionen. Für Baum ein ideales Inszenierungsspielfeld. Als seine Assistentin mit den Proben Schiffbruch erleidet, dreht er erst richtig auf:

„Ich mache daraus das Schauspiel vom Unglückglück. Frei nach Anton Pawlowitsch Tschechow. Da wo Anton Pawlowitsch gestorben ist. Vierundvierzigjährig! Da führen wir seine innigsten Unglückstöne auf. Und zeigen, was für einen Wert ein Mensch hat, wenn er liebt.“

Auch der geniale Regisseur des berühmten „Moskauer Künstlertheaters“,  Konstantin Stanislawski, der Tschechow ersten Weltruhm bescherte und der lange Zeit seines Lebens in Badenweiler verbrachte, dient Baum zur Unterfütterung des eigenen Ego.

Walsers Romane über Untiefen und Absurditäten der Liebe, über Glauben, Lebenszweifel und Zwistigkeiten sind seit fast einem halben Jahrhundert eine Säule deutscher Literatur. 2017 konnte er, der seit Jahrzehnten am Bodensee wohnt, seinen 90. Geburtstag feiern. Er studierte in Tübingen und promovierte in Literaturwissenschaft, seit 1953 wurde er zu den Tagungen der „Gruppe 47“ eingeladen. Schon sein erster Roman „Ehen in Philippsburg“ 1957 wurde ein durchschlagender Erfolg. Stets war Walser ein streitbarer Autor, der wie mit seiner Rede 1998 in der Frankfurter Paulskirche auch unbequeme gesellschaftliche Diskussionen anstieß. Für sein riesiges literarisches Werk mit alleine weit über 50 Romanen, Novellen und Essays und über zehn Theaterstücken erhielt er höchste Literaturpreise, darunter  1981 den Georg-Büchner-Preis und 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Außerdem wurde er mit dem Orden „Pour le Mérite“ ausgezeichnet und zum „Officier de L’Ordre des Arts et des Lettres“ ernannt.

Tschechow und Walser zu Ehren fand das anschließende Buchsignieren im Kurhaus (s. Foto) vor der weltweit ersten originalen Kopie des einzigen Tschechow-Gemäldes statt, die dafür aus dem Literaturmuseum geholt worden war.

H.S.